Langbeschreibung
Im Kommentarteil von Bertolt Brechts Fatzer heißt es, der Gang Fatzers durch die Stadt Mülheim werde Wirklichkeit, auch wenn er nie geschehen sei, sobald er von "genügend viele[n], genügend gute[n] Leute[n], die genügend aufgeklärt sind, [...] als wahrhaftig erkannt" worden sei. Das Fragment weist so auf eine Geschichte derjenigen Taten hin, die hätten getan werden können. Es erscheint eine Vorstellung von Wirklichkeit, die die Grenzen zwischen Theater und den sozialen Verhältnissen, zwischen Fiktion und dem, was als real verstanden wird, brüchig macht und ineinander verschiebt. Das Interesse an der Wirklichkeit der Taten, die hätten getan werden können (oder in der Gegenwart, der Zukunft getan werden könnten), führt zur Frage nach dem Verhältnis von Theater und Wirklichkeit, die bei Brecht - und womöglich auch für gegenwärtiges politisches Theater? - zugleich eine nach der Lehre ist: Wie und von welcher Wirklichkeit spricht Theater, welchen Raum des Lehrens/Lernens eröffnet es und wirkt damit (vielleicht) auf Haltungen und Handlungen? Doch "unsere Handlungen kommen von der Not", heißt es auch im Fatzer. Wie also sprechen Theater und Kunst von der Not, wenn sie Wirklichkeit dar- oder herstellen? Was erlaubt Not? Was ermöglicht Lehre?