Langbeschreibung
In die literaturwissenschaftliche Debatte über die Autobiographie hat der französische Autor und Literaturwissenschaftler Serge Doubrovsky den Begriff ,Autofiktion' eingebracht, der in den letzten Jahrzehnten zunehmend auf Resonanz in Forschung und Feuilleton gestoßen ist. Dabei sind sich diejenigen, die den Begriff verwenden, nicht immer einig, was genau mit ,Autofiktion' zu bezeichnen ist. Möglicherweise liegt gerade in den unterschiedlichen Akzentuierungen, die der Begriff erlaubt, seine theoretische und textanalytische Produktivität. Dass die ,Wahrheit' eines Lebens am besten durch ,Dichtung' zur Darstellung gebracht werden kann, wusste freilich bereits Goethe, der seine Autobiographie Dichtung und Wahrheit (1811-1833) nannte. Allerdings lässt sich gerade in der Gegenwartsliteratur ein verstärktes Bewusstsein von der grundsätzlichen Fiktionalität des Ichs feststellen, das zu neuen Formen und Verfahrensweisen der Selbstdarstellung geführt hat, auch und gerade unter Nutzung digitaler Formate. Dabei wird deutlich, dass im Zeichen der Auto(r)fiktion auch die Debatte um die Autor-Kategorie in der Literaturwissenschaft neue Impulse erhält. Der vorliegende Band führt erstmals die Autofiktions- und Autorschaftstheorie zusammen und präsentiert eine Fülle von frappierenden Fallbeispielen.
Inhaltsverzeichnis
Martina Wagner-EgelhaafEinleitung: Was ist Auto(r)fiktion?Eric AchermannVon Fakten und Pakten. Referieren in fiktionalen und autobiographischen TextenChristian Moser"My final deliverance". Zur Konstitution von Autorschaft im autobiographischen und historiographischen Werk Edward GibbonsYahya ElsagheAuto- und Autorfiktion in Bertolt Brechts HauspostilleChristian SiegDie Überwindung der Lebenskurzschrift. Schwierigkeiten beim Schreiben des Selbst in Nicolas Borns Die erdabgewandte Seite der GeschichteInge ArteelSelbstbildnis als multiples Alloporträt. Gerhard Roths autofiktionales Schreiben im Orkus-ZyklusDaniel WeidnerBildnis machen. Autofiktionale Strategien bei Walter Kempowski, Uwe Johnson und W.G. SebaldMarta FamulaErlebtes, Erkanntes und Fingiertes. Dürrenmatts ästhetisches Konzept einer Erkenntnistheorie in seinem autobiographischen Projekt Stoffe I-IXStephan BerghausGrenzgänge des Ich. Wanderungen zwischen Autobiographie und Autofiktion in W.G. Sebalds Die Ringe des SaturnJeanine Tuschling"Ich, eine Figur, die zu nichts taugt?" Autofiktionale Erzählstrategien in Elfriede Jelineks Internetroman NeidAlbert MeierRealitätseffekt 'Autor'. Poetologische Überlegungen zum Sexualrealismus um 2000Innokentij KrekninKybernetischer Realismus und Autofiktion. Ein Ordnungsversuch digitaler poetischer Phänomene am Beispiel von Alban Nikolai HerbstAnnika Jensen / Jutta Müller-TammEchte Wiener und falsche Inder. Strategien und Effekte autofiktionalen Schreibens in der GegenwartsliteraturYvonne DelheyIlija Trojanow und das 'self-fashioning'Beatrice SandbergUnter Einschluss der Öffentlichkeit oder das Vorrecht des Privaten